Oury Jalloh: Das war Mord!

Am Morgen des 7. Januar 2005 wird Oury Jalloh in Dessau rechtswidrig in Gewahrsam genommen und verbrennt wenige Stunden später an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze in der Dessauer Polizeiwache. Die offizielle Version lautet: Selbstmord. Doch dank des Engagements zahlreicher Angehöriger und Aktivist*innen sind heute viele Indizien bekannt, die dieser These widersprechen und folgenden Tathergang nahelegen: Oury Jalloh wurde vor seinem Tod von Polizist*innen in der Wache schwer misshandelt, wodurch er unter anderem einen Nasenbeinbruch, eine gebrochene Rippe und einen Schädelbruch erleidet. Im Anschluss wird er mit mehreren Litern Brandbeschleuniger übergossen und bei lebendigem Leib angezündet. Der darauffolgende Feueralarm und die Geräusche aus der Gegensprechanlage werden von den zuständigen Beamt*innen der Polizeiwache ignoriert und als nach 11 Minuten die Zellentür doch geöffnet wird, ist Jalloh bereits qualvoll verstorben. Trotz alledem ist heute 16 Jahre nach dem Mord niemand für die Tat verurteilt worden. Schuld daran ist ein Konstrukt aus Vertuschungsversuchen und Falschaussagen der Dessauer Polizei und einer Staats- und Bundesanwaltschaft, die jede Aufklärung zu verhindern versucht.

Wie der Mord an Oury Jalloh, die Täter-Opfer-Umkehr im Zuge der NSU-Ermittlungen, der Tod Ahmed Ahmads oder zahlreiche weitere zeigen, sind diese nicht lediglich eine Verkettung unglücklicher Vorfälle oder Verfehlungen einzelner Polizist*innen, sondern zeugen besonders deutlich von dem institutionellen Rassismus in deutschen Polizeien und Behörden. Erkennbar wird dieser nicht nur durch die genannten Beispiele der Gewalt, der Vertuschung, der Verschleppung von Ermittlungen oder der fehlenden Annahme und Reflexion der Thematik des Rassismus in den Institutionen und der Gesellschaft, sondern auch durch die alltägliche rassistische Polizeipraxis. Als Migrant*innen Wahrgenommene sehen sich dadurch rassistischen Beleidigungen, Durchsuchungen, Überwachung, Misshandlungen bis hin zur Bedrohung ihres Lebens und Mord ausgesetzt.

Zusätzlich wird die rassistische Polizeigewalt legitimiert durch rechtliche Rahmenbedingungen, durch die beispielsweise „anlass- und ereignisunabhängige“ Personenkontrollen an „kriminalitätsbelasteten Orten“ ermöglicht werden und die Praxis des „racial profiling“ faktisch legalisiert und befördert wird. Der institutionelle  Rassismus zeigt sich auch in Sondergesetzen für Ausländer*innen und Geflüchtete. Er äußert sich in der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl, Abschiebungen von „unerwünschten“ Migrant*innen und in einer auf Abschottung ausgelegten europäischen Grenzpolitik. Es zeigt sich in Aussagen von Politiker*innen, wie Seehofers „Migration ist die Mutter aller Probleme“-Zitat; Wird deutlich in dem Aufstieg und der Politik der AfD und anderen Gruppen der sogenannten „Neuen Rechten“. Er lässt sich in medialen Inszenierungen von „Ausländer-Clans“, der Darstellung der NSU-Terroranschläge als „Döner-Morde“ oder den Diskursen über Gewalt von migrantischen Jugendlichen finden. Er äußert sich nicht zuletzt durch verbale oder körperliche Gewalt von Faschist*innen und Rassist*innen gegen vermeintliche Ausländer*innen und dem mangelhaften Verfolgungsinteresse, der Verharmlosung und den Vertuschungsversuchen von Sicherheitsbehörden gegenüber diesen Angriffen.

Für Menschen, die Erfahrungen mit der rassistischen Praxis der Polizei gemacht haben, scheint es von vornherein aussichtslos dagegen juristisch vorzugehen, weil sich nur allzu oft zeigt, dass ihnen vor Gericht nicht geglaubt wird. Viele scheuen sich aber auch, gegen die Polizei vorzugehen, da ihr Aufenthaltsstatus nicht sicher ist oder sie wegen polizeilichen Misshandlungen großer psychischer Belastung ausgesetzt sind. Außerdem werden die Opfer von Polizeigewalt häufig selbst zu Beschuldigten, wenn sie beispielsweise auf juristischem Wege Gerechtigkeit für ihr Leiden fordern, da die Polizei aufgrund ihrer Definitionsmacht die Übergriffe rechtfertigt und behauptet, sie selbst sei angegriffen oder provoziert worden. Durch antirassistische Initiativen wie die „Black-Lives-Matter-Bewegung“  konnte der institutionelle wie auch gesellschaftliche Rassismus im letztem Jahr zumindest zeitweise, erfolgreich Thema im öffentlichen Diskurs werden. Allerdings zeigt beispielsweise die Verweigerung einer Studie zu Rassismus und das Bekanntwerden zahlreicher rechter Strukturen in der Polizei deutlich wie notwendig nach wie vor antirassistische Proteste sind.

Organisiert euch deshalb in und supportet lokale antirassistische Initiativen und lasst uns gemeinsam für Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen im Oury-Jalloh-Komplex und allen weiteren Fällen von rassistischer Polizeigewalt kämpfen. 
Lasst uns solidarisch eingreifen, wenn wir Zeuge von racial profiling werden, und die Betroffenen in diesen Situationen unterstützen [1].

Für eine Welt jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung! 
No justice, no peace!

#WeNeverForgetOuryJalloh

Die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh ruft am 07.01.21 zu einem dezentralen Gedenktag auf. Wir haben uns coronabedingt dazu entschieden keine öffentliche Gedenkkundgebung in Fürth zu machen. Wir rufen euch dennoch dazu auf über die verschiedenen social media Platformen Oury Jalloh und allen Opfern rassistischer Gewalt zu gedenken. Nutzt hierzu den Hashtag #WeNeverForgetOuryJalloh Weitere Infos und einen Live-Stream zur Kundgebung in Dessau findet ihr unter: https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

[1] Tipps zum Umgang mit racial profiling als Zeug*in und Betroffene*r: https://schoener-leben-goettingen.de/wp-content/uploads/2019/07/Taschenkarte-rassistische-Polizeikontrolle_2019.pdf

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